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Kontrastreiche Klangwelten - Konzertkritik in der LKZ

Mit Werken von Pärt, Sibelius, Ravel und Schumann begeistert das Strohgäu­ Sinfonieorchester bei sei­nen Herbstkonzerten un­ter dem Titel „Klangräu­me'' in Möglingen.

Dunkelheit und Stille umgibt die Besucher zu Beginn des Herbstkonzerts, umringt von den Mitgliedern des Strohgäu-Sinfonieorchesters (SSO), die im Glimmen der Notenpultbeleuch­tungen lediglich schemenhaft zu erkennen sind. Aus der Mitte des Saals im gut besuchten Bürger­haus erklingt das A der Glocke, im Pianissimo setzen die Violinen im Rücken des Publikums ein.

Immer weitere, tiefere Stimmen treten hinzu in diesem Kanon in a-Moll, der wie ein Möbiusband wirkt, bei dem Innen- und Außen­seite nicht voneinander zu unter­scheiden sind. "Caritus in Memo­riarti Benjamin Britten", 1977 un­ter dem Eindruck der Nachricht vom Tod des britischen Kompo­nisten als Augmentationskanon für zehnstinimiges Streichorches­ter und Glocke entstanden, gilt als frühes Beispiel für den Tintinnabuli-Stil des estnischen Tonset­zers Arvo Pärt. Für das SSO ist diese Meditation zeitgenössischer Musik eine neue Erfahrung, an der das 1950 gegründete Orchester Amateurmusikerinnen und -musiker spürbar gewachsen ist.

Attacca schließt Jasper Lecon, seit 2019 Dirigent des SSO, mit der symphonischen Dichtung ,,Finlandia" (Op. 2) von Jean Sibe­lius an. Deren Auftakt bestreiten ausschließlich· die Blechbläser, was den Streichern ertaubt, ihre Plätze einzunehmen. 1899 ge­schrieben zur Verteidigung der vom russischen Regime unter­drückten finnischen Presse, durf­te sie bei ihrer Uraufführung nicht unter ihrem Titel gespielt werden. Später waren Aufführungen der "Finlandia" komplett verboten.

Orchester klingt homogen

Streicher- und Holzbläserflä­chen evozieren die Weite der fin­nischen Landschaft, Marsch­rhythmen und Blechbläserfanfa­ren deuten ein Volksfest an, um einem getragenen, majestäti­schen Finale zu gipfeln. Mit straf­fer Körperspannung animiert Le­con die 52 Musikerinnen und Mu­siker zu höchster Konzentration und Aufmerksamkeit - mit deut­lich hörbarem Ergebnis: So ho­mogen und transparent hat man den Ensembleklang des SSO noch selten gehört, der Ruf nach Frei­heit ist in dieser ausdrucksstarken Deutung klar zu vernehmen.

„Klangräume" hat Lecon die Herbstkonzerte überschrieben; am Wochenende wurde in Schwieberdingen und Möglingen gespielt, am Sonntag steht ein Auftritt in Hemmingen an.

Nochmals eine ganz andere Klangwelt steuert Maurice Ravels „Ma mere l'oye" an: tnspiriert durch eine Märchensammlung, entwirft der impressionistische Komponist in seiner fünfteiligen Suite verschiedene Szenen märchenhafter Klangwelten - ganz wundervoll trifft das SSO den irre­alen, kammermusikalischen Ton­fall dieser Preziosen.

Motive verflechten sich

Dagegen steht Robert Schu­manns vierte Sinfonie (Op. 120) wiederum für ein Konzept orches­traler Fülle. Ein Eingangsthema setzt einen nahezu unerschöpflich wirkenden Strom von Motiven in Gang, die sich über alle vier Sätze hinweg verflechten: Die d­-Moll-Sinfonie stellt permanent die Gattung selbst infrage. Bravourös wird das SSO der daraus resultierenden Anforderung einer Daueranspannung gerecht, das Violinsolo von Konzertmeisterin Adelheid Abt in der Romanze ist exquisit ausgeführt, die von For­tissimo-Fanfaren· des Hornquar­tetts eingeleitete Stretta pracht­voll ausmusiziert. Mit seinem Herbstkonzert präsentiert sich das „Liebhaber-Sinfonieorches­ter", wie sich das Ensemble selbst beschreibt, in Höchstform.

Quelle: LKZ, Artikel vom 22. November 2022; Autor: Harry Schmidt

Presserezension LKZ vom 22. November 2022