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Konzertkritik vom 18.11.15

Konzertkritik der LKZ vom 18. November 2015Blonder Engel beflügelt Orchester

Das Strohgäu-Sinfonieorchester und Anke Herrmann begeistern mit Verdi, Böhme, Goedicke und Mendelssohn Bartholdy

In manchen Ohren mag es wie ein Widerspruch klingen: Das Strohgäu-Sinfonieorchester ist ein Amateurorchester. Was dabei im Zweifel dem elitären Anspruch zum Opfer fällt, ist das emotionale Potenzial, das in dieser Konstellation steckt. Berufstätige opfern Freizeit, um sich gemeinsam der aktiven Pflege der klassischen Musik zu widmen. Vielfältig wie ihre ausgeübten Berufe auch die Staatszugehörigkeiten der Mitglieder: Das Schwieberdinger Orchester - kurz SSO genannt - ist ein Spiegel unserer Zeit: Was diese Menschen zusammenführt, ist ihr Enthusiasmus. Und darin liegt ihre Stärke, denn diese Leidenschaft überträgt sich unmittelbar auf den Zuhörer. Die Frage, ob ein so strukturiertes Ensemble Literatur der klassischen Musik tatsächlich durchdringen und mit einer eigenständigen Interpretation zum Leben erwecken könne, beantworteten die 45 Musiker jetzt mit Konzerten in Schwieberdingen und Möglingen unter der Leitung von Aki Schmitt, der mit diesem Programm letztmals als Dirigent vor dem SSO steht, entschieden positiv, ja geradezu beflügelt.

Souverän die Eröffnung mit der Ouvertüre von Verdis "Nabucco": Feines Ostinato-Gespinst der ersten Geigen kontrastiert durch knallige Tutti, muntere Klarinetten und ein Flötensolo zum Pizzicato aller Streicher. Schmitt kniete sich in die dynamische Gestaltung richtiggehend hinein, die Musiker dankten es mit hörbarer Spielfreude. Mit der Trompeterin Anke Herrmann hatte man eine Solistin eingeladen, die noch jung an Jahren, aber reich an Erfahrungen ist: Nach Erfolgen im Bundeswettbewerb von "Jugend musiziert" und einem Studium an der Musikhochschule Stuttgart führten Tourneeengagements die Ditzingerin bereits nach Italien, China, Australien, Südafrika und in die USA. Es ergibt ein so ungewöhnliches wie einprägsames, weil zwar kontrastreiches, aber überraschend stimmiges Bild, wie die hübsche Blondine im schulterfreien Abendkleid auf der Bühne steht: ein Engel mit einem Horn. Vorab war von Schmitt zu erfahren, dass er sich zunächst mit der Anfrage für ein Stück von Hummel an Herrmann gewandt hatte, worauf die Trompeterm ("Immer Hummel!") stattdessen das Trompetenkonzert op. 18 e-Moll des deutschen Komponisten Oskar Böhme empfahl.

Ein doppelter Glücksfall, dass Schmitt der Empfehlung gefolgt war, erlaubte es einem doch gleichzeitig die Entdeckung dieses vielschichtigen, selten gegebenen Stücks und der Virtuosin Anke Herrmann: Frisch und vital ihre Tonbildung, verfügt sie über enormes Volumen und ein schönes Legato, das in der Klangfarbenpracht, die das SSO entfaltete, geradezu aufblühte. Mit kristallklarer Intonation setzte sie trillernde Impulse, die vom Orchester aufgenommen wurden, um im Anschluss wieder lyrisch verschattet zu klingen. Mitreißend auch ihr Solo: Wie ein Vogel schwingt sie sich in immer größere Höhen hinauf. Die Leichtigkeit von Herrmann beeindruckt. Wie schwerelos wirkten ihre Kantilenen, getragen vom SSO, das ein ums andere Mal mit seinem hohen Niveau begeisterte.

Berückend auch die Konzert-Etüde für Trompete und Orchester, op. 41 von Alexander Fjodorwitsch Goedicke: Nach rasantem Auftakt verlangt das herausfordernde Werk Herrmann ein Crescendo fast aus dem Niente heraus ab, was sie glänzend meisterte. In Felix Mendelssohn Bartholdys "Reformations-Sinfonie" war nach der Pause das SSO ganz in seinem Element, machte manchmal fast den Eindruck einer Naturgewalt: Man verspürte das Aufkommen starker, herbstlicher Winde, dann dachte man an die geheimnisvolle Synchronisation eines Fischschwarms. Im vierten Satz schaltete sich in die Variation des Luther-Chorals "Ein feste Burg ist unser Gott" ein Kontrafagott ein. Durchweg erfreute das SSO mit sattem Ensembleklang, vielfältig und doch verbunden wie seine Mitglieder. Drei Verbeugungen und minutenlanger Beifall der rund 100 Besucher.

von Harry Schmidt, Ludwigsburger Kreiszeitung vom 18.11.2015